[Interview] Skald Draugir (HELRUNAR) April 2012

Die Münsteraner von HELRUNAR haben sich mit ihren ersten drei Alben "Gratr" (Demo), "Frostnacht" und "Baldr Ok Iss" bereits einen Namen gemacht, der für atmosphärischen, unkonventionellen und intelligenten Black Metal steht.

Mit dem neuesten Werk "Sól" wird dieser Pfad fortgeführt. Hoch anspruchsvolle Lyrik gepaart mit den typischen musikalischen Momenten, die HELRUNAR schon immer ausmachen, laden den Hörer zum Nachdenken ein. "Sól" ist definitiv ein Werk, welches die volle Aufmerksamkeit des Hörers verlangt - und mit der Zeit immer mehr wächst. Der massenkonsumierenden Downloadgeneration wird diese Scheibe sehr wahrscheinlich leicht aufstoßen. Gut so!

Nachdem ich bei dem Konzert mit The Vision Bleak, Helrunar und Agrypnie in Darmstadt dabei war, konnte ich die Gelegenheit nutzen, dem Sänger und Lyriker Skald Draugir ein paar Fragen per E-Mail zu stellen.




Julian: Grüße dich, Skald! Wie läufts denn so, haben dir die Konzerte mit the The Vision Bleak und Agrypnie gefallen?


Skald Draugir: Die Tour war spitze! Nicht nur der gelungenen Konzerte wegen... wir haben uns einfach super mit den anderen Bands verstanden und hatten viel Spaß, die Tour hätte noch gerne sehr viel länger gehen können.


Julian: Im vergangenen Jahr habt ihr euer drittes Album namens "Sól" veröffentlicht, und man muss sagen, dass sich im Vergleich zu den Vorgängeralben stilistisch einiges geändert hat. Wie würdest du das Album ganz grob für jemanden beschreiben, der es noch nie gehört hat?


Skald Draugir: Dunkel, tendenziell auch depressiv, episch, atmosphärisch. Black Metal mit Kopfkino.


Julian: Mir persönlich ist aufgefallen, dass das neue Album textlich nicht mehr so stark an heidnische Sagen und Mythen angelehnt ist, wie noch die Vorgängeralben. Bei "Baldr Ok Iss" zum Beispiel war ja noch direkt der Bezug zu bestimmten Mythen widerzuerkennen. Gibt es einen Grund wieso das ganze bei "Sól" (zumindest auf den ersten Blick) nicht mehr so präsent ist?


Skald Draugir: Es gibt dafür keinen bestimmten Grund... es hat sich beim Schreiben einfach so entwickelt. Die Musik auf „Sól“ ist ja tendenziell düsterer, verzweifelter... als sich das bei den Kompositionen abzeichnete war mir auch klar, dass der sonst übliche Bezug zur nordischen Mythologie diesmal weniger angebracht ist. Andererseits sind die Mythen auch auf „Sól“ noch präsent, aber weniger auf einer inhaltlichen, sondern eher auf der strukturellen Ebene. Die Geschichte, die das Album erzählt, ist nach mythischen Strukturen geordnet. Darüber hinaus tauchen auch immer wieder mythische Fragmente in den Texten auf. Abgesehen davon hatte ich aber auch keine Lust mehr, nordische Mythen auf herkömmliche Weise in die Texte zu integrieren, das haben wir oft genug gemacht. Ich wollte es diesmal ein wenig anders machen... ein wenig mehr Tiefenschärfe erzielen, wenn man so will, und auch andere literarische Einflüsse integrieren.


Julian: Ich habe schon in mehreren Interviews gelesen, dass du die Inspiration für deine Texte aus deinem eigenen Leben schöpfst – Wie kann man sich das genau vorstellen, sind das Erfahrungen und Gedanken die dich gerade beschäftigen, oder spielen auch andere Dinge wie Filme, Bilder oder andere Bands eine Rolle?


Skald Draugir: Alles fließt ein. Die wichtigste Grundlage sind wohl die Momente, in denen man das, was man erlebt hat oder was einem widerfahren ist, reflektiert. Die können ja oft sehr emotional sein... im Prinzip setze ich diese Erlebnisse dann in einen Bezug zu Mythen und anderen Erzählstoffen, auch zu Filmen oder Bildern, um tiefere Bedeutungen zu finden und aufzuzeigen, aber natürlich auch, um das Erlebte zu verarbeiten. Man lebt als Mensch ja in einem Sinngewebe, das aus diesen Erzählstoffen, dem Erlernten, aus emotionalen und menschlichen Bindungen und so weiter besteht. Daraus schöpft man Sinn und Identität. Aus alledem nähren sich meine Texte... ich glaube aber, dass das an sich nichts Ungewöhnliches ist. Ich denke, dass viele so oder ähnlich arbeiten, oft auch unbewusst.


Julian: Ihr habt "Sól" ja auch als aufwändig gestaltetes Artbook veröffentlicht, welches ihr bzw. du als "Kulturmythisches Psychodrama" beschreibt. Könntest du diesen Begriff im Zusammanhang zu "Sol" genauer erläutern?


Skald Draugir: Ich erläutere es mal anhand der Begriffe: Ein kulturmythisches Drama behandelt große Brüche und Wandlungsprozesse in der Menschheitsgeschichte, wie zum Beispiel die Industrialisierung. Ein Psychodrama hingegen behandelt nur eine einzige Person, deren Innenleben auf der Bühne dargestellt wird. „Sól“ ist beides Zugleich. Daraus mache der Leser jetzt, was er will...





Julian: In diesem Artbook sind die Texte als zusammenhängende Geschichte erzählt – jeder Song ist irgendwie mit dem vorherigen oder dem nächsten verknüpft. Wenn ihr nun Songs von "Sól" live spielt, stehen die Lieder bzw. Die Texte ja nicht mehr in diesem Zusammenhang. Wolltest du die Texte so verfassen, dass sie auch "einzeln" ihre Aussagekraft beibehalten?


Skald Draugir: Ja, natürlich. Man kann die Texte von „Sól“ auf verschiedene Weise deuten... isoliert, im Kontext ihres jeweiligen Teiles, aber auch im Kontext des ganzen Albums. Die Bedeutung wird dann variieren, aber das ist der mythischen Struktur von „Sól“ geschuldet. Bei Mythen verhält es sich nämlich ganz ähnlich. Abgesehen davon ist ein Livekonzert natürlich auch eine ganz andere Art Musik zu erleben, als das Hören eines Albums vor der heimischen Anlage... da geht es wohl oft weniger um den Text, sondern eher darum, dass es einfach rockt.


Julian: Auf "Sol" ist stellenweise der Bezug zu einer Katastrophe oder Apokalypse zu erkennen, beispielsweise bei "Europa nach dem Eis". Wieso gerade eine Katastrophe?


Skald Draugir: Nun, die Katastrophe gehört wohl zu den eindrucksvollsten, aber auch beliebtesten Motiven unserer Kulturgeschichte. Sie beschreibt einen End- aber auch einen Turning-Point... auch die Erzählstoffe unserer Tage, seien es nun Kinofilme oder Fernsehdokus, sind voll von den verschiedensten Katastrophen. Da manifestiert sich eine unterschwellige Angst, auch das mulmige Gefühl, dass wir all das irgendwie „nicht verdient“ haben und dass eines Tages das „Dicke Ende“ kommen wird. Irgendwie scheinen wir es manchmal sogar geradezu herbeizusehnen. Mit dem Bild der Katastrophe eröffnet sich also ein ganzer Gefühls- und Bedeutungskosmos... das war es wohl, was ich daran interessant fand. Und die Frage, inwiefern eine persönliche, individuelle Katastrophe mit dem populären Bild einer großen, kollektiven Katastrophe interagiert... wie sich das eine im anderen spielgelt.


Julian: Wie eingangs angesprochen habt ihr ja vor kurzem eine kleine Wochenendtour mit The Vision Bleak und Agrypnie absolviert. Wie sieht es denn allgemein in Zukunft aus was Live Auftritte angeht? Kann man damit rechnen, Helrunar wieder öfters auf der Bühne zu sehen? Ich kann mir vorstellen, dass so eine Tour zeitlich und finanziell nicht immer einfach zu bewerkstelligen ist.


Skald Draugir: Da hast Du recht, aber für den Herbst ist eine größere Europatour mit Kampfar in Planung. Näheres werdet Ihr sicherlich rechtzeitig erfahren!


Julian: Das Release von "Sól" ist ja nun auch schon wieder ein Weilchen her – Wie läufts denn so mit neuem Material, kannst du uns schon was dazu sagen?


Skald Draugir: Es gibt schon neues Material und auch Ideen für neue Texte. Der auf „Sól“ eingeschlagene Kurs wird wohl, musikalisch wie auch lyrisch, beibehalten. Aber ins Studio geht es wohl erst wieder 2013. Es ist aber geplant, dass wir noch in diesem Jahr ein Stück für einen Split mit Árstidir Lífsins aufnehmen, einem deutsch-isländischen Projekt, an dem ich, neben Mitgliedern von Kerbenok und Drautran, auch beteiligt bin.


Julian: Okay Skald, da wir langsam zum Ende kommen, was hörst du dir momentan am meisten an? Gibt es ein bestimmtes Buch oder einen bestimmten Film zu empfehlen?



Skald Draugir: Momentan höre ich sehr gern die Musik von „Blackfilm“... das könnte man wohl am ehesten als Dark Ambient bezeichnen, sowie „Seven bells“ von Secrets of the Moon. Die letzten wirklich beeindruckenden Filme, die ich gesehen habe, waren „Watchmen“ und „Inception“. In literarischer Hinsicht möchte ich William Gibson empfehlen, der schreibt sehr gute, intelligente Science Fiction.



Julian: Alles klar, ich danke dir für das Interview! Ich hoffe man sieht sich mal wieder bei einem eurer Konzerte. Die letzten Worte gehören dir.


Skald Draugir: Ich danke Dir! Ich hoffe, wir sehen uns auf dem Wolfzeit Festival oder auf unserer Tour im Herbst! Und wenn Ihr Lust auf epischen Metal mit altnordischen Texten habt, hört Euch das neue Árstidir Lífsins-Album „Vápna lækjar eldr“ an. Es erscheint in den nächsten Tagen via Ván Records.



( Thyrm - www.ginnungagapmetal.de )
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